Nun wurde unter Mitwirkung der Bürgerschaft in Form der „Gmünder Charta der Gemeinsamkeiten“ fixiert, was in der Stauferstadt de facto bereits gelebt wird: Das Miteinander ist die Maxime für das Zusammenleben in Gmünd und schließt alle ein, die hier wohnen. Jeder ist willkommen, aber es wird auch erwartet, dass sich jeder an die Grundregeln der Gesellschaft hält.
SCHWÄBISCH GMÜND. Den 70. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes hat man in Gmünd bewusst für die Präsentation der Gmünder Charta gewählt, denn das Grundgesetz ist ja die Basis, auf der die Gmünder Charta aufgebaut ist, machte Oberbürgermeister Richard Arnold deutlich. Denn im Grundgesetz stehe der Mensch und seine Freiheit im Mittelpunkt, nicht jedoch der grenzenlose Egoismus. Vielmehr erwarte das Grundgesetz ebenso wie die Gmünder Charta, dass jemand die rechtlichen Rahmenbedingungen akzeptiert und befolgt, wenn er dazu gehören möchte. In Gmünd, so Arnold weiter, habe man sich die Frage gestellt, was die Stadtgesellschaft ausmacht. Bei dieser Einschätzung spielte es auch eine Rolle, dass laut repräsentativer Umfrage 70 Prozent der Bevölkerung sich Sorgen wegen des Auseinanderdriftens der Gesellschaft machen und immerhin 38 Prozent Angst vor einer Überfremdung der Gesellschaft haben.
„Jeder soll sich in unserer Stadt wohl fühlen, aber dies ist immer ein Geben und ein Nehmen!“, unterstrich Arnold.
Er machte keinen Hehl daraus, dass ein Miteinander in der Stadt nach seiner Lesart vom bürgerschaftlichen Engagement geprägt sein muss. Die Gemeinsamkeit habe bereits bei der Ausarbeitung der Charta begonnen, „denn so was kann man nicht von oben her verordnen, das muss gemeinsam mit der Bürgerschaft wachsen“, sagte der OB. Dies sei in Gmünd unter anderem im Rahmen von so genannten „Nachbarschaftsgesprächen“ geschehen. Für die Zukunft wünschte sich der Oberbürgermeister, dass die „Gmünder Charta der Gemeinsamkeiten“ ebenso Bestand hat und sich dem Wandel der Zeit anpassen kann, wie das Grundgesetz. Edzard Reuter hielt nicht damit hinterm Berg, dass er unter Demokratie keineswegs das Zelebrieren einer Harmonie versteht. „Eine gesunde Demokratie lebt vom Streit. Sprich von der offenen, fairen Auseinandersetzung – aber auch vom Akzeptieren von Mehrheitsentscheidungen!“ Deshalb hätte er selbst es sich bei der deutsch-deutschen Wiedervereinigung gewünscht, das Grundgesetz im Rahmen einer Volksabstimmung zur Verfassung zu erheben. Dann hätte niemand mehr behaupten können, das Grundgesetz sei ja gar nicht vom Volk, sondern von Politikern in Kraft gesetzt worden. Das Grundgesetz habe den Deutschen das große Geschenk gemacht, dass sie in Freiheit und in einem Rechtsstaat leben können. Er vermisse allerdings inzwischen den Mut der Gesellschaft, über die Gestaltung der Zukunft Fragen zu stellen. Und er vermisse die Bereitschaft, für die Freiheit auch ein Opfer zu bringen, bemängelte Reuter die häufig geäußerte Kritik an einem vereinten Europa. Mit klaren Worten erteilte Reuter einem wieder aufkeimenden Patriotismus und Nationalismus eine Absage. Diese Botschaft adressierte er auch expressis verbis an die in Deutschland lebenden Menschen türkischer Abstammung. Er habe elf Jahre in der Türkei gelebt und damals die Menschen ausnahmslos als von Anstand und Friedenswillen geprägt erlebt. Ein grundsätzliches Plädoyer von Reuter bezog sich auf das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen. „Das kanneine ungeahnte Kreativität und Zukunftskraft entfalten“, zeigte er sich überzeugt. „Mit dem Gmünder Weg leisten Sie hier ein großartiges Beispiel für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft – und es ist mir eine besondere Ehre, heute Abend bei der Verkündung der Gmünder Charta der Gemeinsamkeiten dabei zu sein!“
©Rems Zeitung, 24.05.2019